Als Material für hochbeanspruchte Teile des Gefäßes, das ein heißes Fusionsplasma umschließt, eignet sich Wolfram besonders gut, da es das Metall mit dem höchsten Schmelzpunkt ist. Ein Nachteil ist jedoch seine Sprödigkeit, die es bei Belastung brüchig und anfällig für Beschädigungen macht. Ein neuartiges, belastbareres Verbundmaterial hat das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching jetzt entwickelt. Es besteht aus homogenem Wolfram mit eingebetteten beschichteten Wolframdrähten. Eine Machbarkeitsstudie hat gerade die grundsätzliche Eignung des neuen Compounds gezeigt.
Ziel der Forschung am IPP ist die Entwicklung eines Kraftwerks, das wie die Sonne Energie aus der Verschmelzung von Atomkernen gewinnt. Der verwendete Brennstoff ist ein Wasserstoffplasma niedriger Dichte. Um das Fusionsfeuer zu zünden, muss das Plasma in Magnetfeldern eingeschlossen und auf eine hohe Temperatur erhitzt werden. Im Kern werden 100 Millionen Grad erreicht. Wolfram ist ein vielversprechendes Metall als Werkstoff für Bauteile, die direkt mit dem heißen Plasma in Kontakt kommen. Dies wurde durch umfangreiche Untersuchungen am IPP nachgewiesen. Ein bisher ungelöstes Problem ist jedoch die Sprödigkeit des Materials: Unter Kraftwerksbedingungen verliert Wolfram seine Zähigkeit. Lokale Belastungen – Zug, Dehnung oder Druck – können nicht durch leichtes Nachgeben des Materials ausgeglichen werden. Stattdessen bilden sich Risse: Bauteile reagieren daher sehr empfindlich auf lokale Überlastungen.
Deshalb suchte das IPP nach Strukturen, die eine lokale Spannungsverteilung ermöglichen. Als Vorbild dienten faserverstärkte Keramiken: Beispielsweise wird sprödes Siliziumkarbid fünfmal so zäh, wenn es mit Siliziumkarbidfasern verstärkt wird. Nach einigen Vorstudien sollte IPP-Wissenschaftler Johann Riesch untersuchen, ob eine ähnliche Behandlung mit Wolframmetall funktionieren kann.
Der erste Schritt bestand darin, das neue Material herzustellen. Eine Wolframmatrix musste mit beschichteten Langfasern verstärkt werden, die aus extrudiertem, haardünnem Wolframdraht bestanden. Die ursprünglich als Leuchtfäden für Glühbirnen gedachten Drähte wurden von der Osram GmbH geliefert. Im IPP wurden verschiedene Materialien für deren Beschichtung untersucht, darunter auch Erbiumoxid. Die vollständig beschichteten Wolframfasern wurden dann entweder parallel oder geflochten gebündelt. Um die Lücken zwischen den Drähten mit Wolfram zu füllen, entwickelten Johann Riesch und seine Mitarbeiter daraufhin gemeinsam mit dem englischen Industriepartner Archer Technicoat Ltd Es wurde eine schonende Methode zur Herstellung der Verbindung gefunden: Das Wolfram wird aus einem Gasgemisch durch einen chemischen Prozess bei moderaten Temperaturen auf den Drähten abgeschieden. Damit gelang es erstmals, wolframfaserverstärktes Wolfram erfolgreich herzustellen, mit dem gewünschten Ergebnis: Die Bruchzähigkeit der neuen Verbindung hatte sich bereits nach den ersten Tests im Vergleich zu faserlosem Wolfram verdreifacht.
Im zweiten Schritt wurde untersucht, wie das funktioniert: Als entscheidend erwies sich, dass die Fasern Risse in der Matrix überbrücken und die lokal wirkende Energie im Material verteilen können. Dabei müssen die Grenzflächen zwischen Fasern und Wolframmatrix einerseits schwach genug sein, um bei Rissbildung nachzugeben, und andererseits stark genug sein, um die Kraft zwischen Fasern und Matrix zu übertragen. Dies konnte in Biegeversuchen direkt mittels Röntgenmikrotomographie beobachtet werden. Dies zeigte die grundsätzliche Funktionsweise des Materials.
Entscheidend für die Brauchbarkeit des Materials ist jedoch, dass die erhöhte Zähigkeit bei der Anwendung erhalten bleibt. Johann Riesch überprüfte dies, indem er Proben untersuchte, die durch vorherige thermische Behandlung versprödet waren. Wurden die Proben mit Synchrotronstrahlung bestrahlt oder unter dem Elektronenmikroskop untersucht, bestätigten auch hier Dehnungen und Biegungen die verbesserten Materialeigenschaften: Versagt die Matrix unter Belastung, sind die Fasern in der Lage, die entstehenden Risse zu überbrücken und einzudämmen.
Damit sind die Grundsätze für das Verständnis und die Produktion des neuen Materials festgelegt. Nun sollen Muster unter verbesserten Prozessbedingungen und mit optimierten Schnittstellen hergestellt werden, was die Voraussetzung für eine Großserienproduktion darstellt. Das neue Material könnte auch über den Bereich der Fusionsforschung hinaus von Interesse sein.
Zeitpunkt der Veröffentlichung: 02.12.2019